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/dpa

Sydney – Medizinisches Cannabis wird zunehmend auch zur Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzt. Eine Meta-Analyse in Lancet Psychiatry (2019; doi: 10.1016/S2215-0366(19)30401-8) findet allerdings kaum Belege für einen Nutzen für die Linderung von Depressionen, Angststörungen, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), Tourette-Syndrom, posttraumatische Belastungsstörungen oder Psychosen. Die Forscher warnen vor möglichen Risiken.

Normalerweise müssen neue Medikamente eine strenge klinische Prüfung bestehen, bevor sie zugelassen und bei Patienten eingesetzt werden. Bei medizinischem Cannabis ist dies offenbar anders. Die Genehmigungen werden auf Druck von Selbsthilfegruppen erteilt, die auf bestehende therapeutische Lücken hinweisen. Cannabinoide sollen dort helfen, wo andere Mittel versagen, und auf die Ergebnisse langdauernder klinischer Studien könnten die Patienten nicht warten, lautet die Argumentation. Außerdem habe die Pharmaindustrie ohnehin kein Interesse an der gesellschaftlich (lange) geächteten Droge.

Dies führt dazu, dass die medizinische Evidenz für den Einsatz von Cannabis gering ist – wobei eine fehlende Evidenz nicht bedeutet, dass ein Mittel nicht wirkt oder schadet, sondern lediglich, dass Wirkung und Sicherheit nicht genau untersucht wurden.

Besonders groß ist die Evidenzlücke von medizinischem Cannabis bei psychiatrischen Erkrankungen. Ein Team um Louisa Degenhardt vom australischen National Drug and Alcohol Research Centre in Sydney konnte für eine Meta-Analyse für den Zeitraum von 1980 bis 2018 nur 83 Studien ausfindig machen. Darunter waren 40 randomisierte kontrollierte Studien (RCT), die heute der Standard für die Prüfung von Medikamenten sind. Die anderen waren offene Studien, in denen die Teilnehmer wussten, welche Behandlung sie erhielten.

Von den 83 Studien befassten sich 42 mit Depressionen (darunter 23 RCTs), 31 mit Angst­zuständen (17 RCTs), 8 mit dem Tourette-Syndrom (2 RCTs), 3 mit ADHS (1 RCT), 12 mit PTBS (1 RCT) und 11 mit Psychosen (6 RCTs).

Hinzu kommt, dass viele RTC aus anderen Gründen durchgeführt wurden. Dies war häufig bei Studien zu Depressionen und Angstzuständen der Fall, in denen geprüft wurde, ob Cannabinoide chronische, nicht krebsbedingte Schmerzen lindern können oder bei der Multiplen Sklerose hilfreich sind.

In diesen Studien kam gewissermaßen nebenbei heraus, dass sich auch die Depressionen und Angstzustände besserten. Die Effektstärke war jedoch gering. Nach den Berechnungen von Degenhardt liegt sie bei 0,25 SMD (95-%-Konfidenzintervall 0,01 bis 0,49). SMD ist die standardisierte Mittelwertdifferenz. Die Behandlung hatte die Symptome also um ein Vier­tel der Standardabweichungen gelindert. Was dies für die Patienten bedeutet, lässt sich nur schwer verdeutlichen. Die SMD werden in Meta-Analysen benutzt, um die Ergebnisse aus Studien mit unterschiedlichen Endpunkten zusammenzufassen.

Laut Degenhardt war der Evidenzgrad für einen Nutzen insgesamt gering. Es bleibe denkbar, dass die Linderung der Depressionen einzig die Folge der Primärerkrankung war. Wenn beispielsweise medizinisches Cannabis die Schmerzen von Patienten mit Multipler Sklerose lindert, kann dies einen Rückgang der Depressionen zur Folge haben. Daraus kann dann nicht geschlossen werden, dass medizinisches Cannabis auch die Depressionen von Patien­ten lindert, die nicht an Schmerzen aufgrund einer Multiplen Sklerose leiden.

In den Studien zu den anderen Erkrankungen erfolgte der Einsatz von Cannabinoiden pri­mär zur Behandlung der psychischen Störung. Dies hatte laut Degenhardt nicht immer die gewünschte Wirkung: In einer Studie (mit allerdings nur 24 Teilnehmern) sei es sogar zu einer Verschlechterung der Psychose gekommen (SMD 0,36; 0,10 bis 0,62). Da Psychosen als mögliche Nebenwirkung von Cannabis diskutiert werden, dürfte der Einsatz bei dieser Erkrankung problematisch sein.

In den Studien ist laut Degenhardt auch herausgekommen, dass medizinisches Cannabis zu einem Anstieg von Nebenwirkungen führt (Odds Ratio 1,99; 1,20 bis 3,29) und die Rate von Therapieabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen erhöht war (Odds Ratio 2,78; 1,59 bis 4,86).

Beim Einsatz von medizinischem Cannabis zur Behandlung von psychiatrischen Erkran­kungen wäre demnach Vorsicht geboten. Der geringen Evidenz steht laut Degenhardt jedoch in vielen Ländern ein hohes Interesse der Öffentlichkeit gegenüber. Die sauberste Lösung zur Verbesserung der Evidenz wäre die Durchführung von dringend notwendigen RCT.

Da solche nicht in Sicht sind, plädieren Forscher dafür, die Erfahrungen der Patienten in Datenbanken zu sammeln. Die britische Stiftung „DrugScience“ hat hierzu jüngst die Initiative TWENTY21 ins Leben gerufen. Das Ziel ist, 20.000 Patienten den Zugang zu medizinischem Cannabis zu ermöglichen, die dann im Gegenzug über ihre Erfahrungen mit der Wirksamkeit, Sicherheit und Lebensqualität berichten sollen. © rme/aerzteblatt.de

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